Henriette Valet:
MADAME 60a
Roman

Übersetzt und benachwortet von Norma Cassau

14×21,5 cm, gebunden, 
mit Kopffarbschnitt, Prägung und Lesebändchen
232 Seiten

24,— € (D), 24,70 € (A)
ISBN: 978-3-946990-62-8

 

Als Zeitdokument ist "Madame 60a" erschütternd und erhellend. Als literarisches Werk ist es ein psychologisch dichtes und gesellschaftlich hochinteressantes Fundstück, das sicher nicht zufällig in einer Zeit wiederentdeckt wird, die im Zuge von "#MeToo" und "Regretting motherhood" das Frau- und Muttersein neu verhandelt.
- Lena Bopp, FAZ

Eine solche Ich-Erzählung einer Gebärenden gibt es sicher nicht oft in der Geschichte der Literatur. In allem Schmerz und der Härte des Sozialrealismus dieses Buches wird aus dem Dachboden, auf den man die gefallenen Mädchen, Prostituierten, Hoffnungslosen verbannt, ein utopischer Ort. Und wäre das nicht das Buch einer sehr sachlichen Frau, könnte darin stehen: Man kann dort den Kern einer offeneren Gesellschaftsordnung erahnen.
- Marie Schmidt, Süddeutsche Zeitung

Was für eine unglaubliche Entdeckung, was für ein eigenartiges, eigenartig revolutionäres Buch, was für eine schriftstellerische und übersetzerische Meisterleistung! 
-  Ulrike Schrimpf, morehotlist.com

Das Hôtel-Dieu, im Schatten der Pariser Kathedrale Notre-Dame, nimmt seit Jahrhunderten mittellose Schwangere auf, die kurz vor der Entbindung stehen und nicht wissen, wohin. Es ist ein Mikrokosmos, der die Gesellschaft unter Extrembedingungen spiegelt - und doch weiß man wenig über die konkreten Bedingungen, das Erleben an diesem vielfach tabuisierten Ort.
In den Jahren um 1930 betritt eine junge Frau dieses Heim. In den überfüllten Saal wird, zwischen die Nummern 60 und 61, ein weiteres Bett geschoben: 60a.

Henriette Valets Roman Madame 60a begleitet die namenlose, aber nummerierte Protagonistin bis zur Geburt ihres Kindes und zur Entlassung aus dem Hôtel-Dieu. Wir sehen die Routinen und Schmerzen, die Gehässigkeit und Verzweiflung der Frauen, aber auch ihre Freimütigkeit und ihren Zusammenhalt. 
Valets Beobachtungen sind unbestechlich, ungeschönt, aber Madame 60a gestattet sich selbst keine Verbitterung: Gegen die Unterdrückung der Frauen ebenso wie gegen deren Resignation erhebt sie eine wütende und ergreifende Anklage.

 

Die Körper um mich herum sind schmerzerfüllt, und die Gesichter sind verwelkt, abgestumpft von einer namenlosen Müdigkeit. Zusätzlich zu allem, was schwer auf den Menschen lastet, wird meinen Gefährtinnen noch dieses aufgebürdet: ihr Bauch. Mutterfreuden? Mit dem, was ich hier sehe, hat das nichts zu tun. Mystifizierendes Gerede, Schwindeleien, Lügen. Das ist es, was man uns erzählt, um unser Leid zu ersticken, und damit wir unseren Schmerz nicht hinausschreien, damit wir selbst nicht mehr an ihn glauben.
- Henriette Valet, Madame 60a

 

Henriette Valet (1900-1993) wird in Paris in bescheidenen Verhältnissen geboren. Sie wächst in der Auvergne auf, wo sie beginnt, als Telefonistin zu arbeiten, ehe sie 1924 zurück nach Paris zieht. Dort findet sie Anschluss an linke Intellektuellen- und Künstlerkreise. Für Arbeiter- und Gewerkschaftszeitschriften schreibt sie sowohl journalistisch als auch literarisch. Ihr erster Roman, Madame 60a, erscheint 1934 bei Grasset. 1936 heiratet sie den marxistischen Philosophen und Soziologen Henri Lefebvre, mit dem zusammen sie den Roman Le mauvais temps (Grasset 1937) schreibt. Nach dem Weltkrieg spielt man in Paris ein Theaterstück von ihr, danach verliert sich ihre literarische Spur. Sie stirbt 1993 in Paris.

Norma Cassau (geb. 1975) wuchs in Westberlin auf. Nach einer Buchhändlerlehre studierte sie Komparatistik und Osteuropastudien in Berlin und Kazan und arbeitete einige Jahre in der Buchbranche. Sie übersetzt überwiegend aus dem Französischen (u.a. Michel Houellebecq, Philippe Djian oder Muriel Barbery) und zieht mit ihrem Mann drei Söhne groß.